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Channel: Das Leben & der ganze Mist – Freiheit muss man ausatmen!
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Wir waren so nah dran… (UPDATE)

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Ein paar Tage Abstand zum Landtag, ein Plakat auf dem Klo und ein kleiner Link im Internet – mehr braucht es nicht, um Nostalgie aufkommen zu lassen und mich in die Stimmung zu bringen, die Piraten als Idee zu hinterfragen: Was mir dafür fehlte? 2 Tage krank im Bett rumliegen, die Geschichte der Sozialdemokratie, eine Auflistung der Piratenparteien weltweit und ein wenig Wehmut. Dazu ein Plakat im Wahlkreisbüro:

“Aufgeben oder Kämpfen ?”

Von 2010, als die Welt noch in Ordnung war … aber wann ist dann eigentlich dieser ganze Scheiß mit uns passiert?

Am Anfang stand eine Bewegung, eine Idee, etwas ohne Grenzen. Internationale Gedankenwelten. Da ist etwas Neues, eine Entwicklung, die uns zusammenbringt, reaktionäre und konservative Kreise, die nichts von uns und unseren Problemen wissen wollte. Also haben wir eine Partei gegründet. Sind in die Politik; haben neben unseren Aktivitäten in den verschiedensten NGO versucht, durch politischen Druck etwas zu bewegen; sind gewählt worden, sicher aus dem Gefühl heraus, dass etwas falsch läuft in diesem Land, dass Menschen darunter leiden, wie Entscheidungen getroffen werden, wer wann welchen Blödsinn erzählt und die tumbe Masse damit auf seine Seite zieht; sitzen jetzt im Parlament und – geben unsere kämpferische Einstellung nach und nach auf…

Merken Sie noch was? So, oder so ähnlich hätte sicherlich ein Politiker der frühen SPD schreiben können! Oder eben ein verzweifelter Michele Marsching

…der im Landtag in NRW sitzt und sich immer wieder fragt, auf welchen Vorstellungen eigentlich die Anträge so beruhen, die wir Piraten im Plenum stellen? Warum sind wir eigentlich so sehr in der Realpolitik angekommen, dass jemand in der Fraktion der festen Überzeugung ist, bei Wirtschaftstheorie oder in der 200 Jahre dauernden Bergbau-Diskussion oder bei Themen wie Landwirtschaft, Gleichstellungspolitik oder Europa mitreden zu müssen bzw. überhaupt zu können?

Na gut, in einigen Bereichen kann man sich gute Referenten einkaufen, die dann ihr Fachwissen in den Landtag einbringen. Aber will man das überall? Ist ein Referent, der einen zu großen Wissensvorsprung hat nicht auch eine Gefahr, dem MdL einfach wegzulaufen und eigene Agenden zu verfolgen? Was wenn ein MdL überhaupt keine Verbindung mehr zu einem Thema herstellen MUSS, weil Referent/in X ihm schon all diese lästige Lese- und Recherchearbeit abnimmt, ihm alles vorkaut?

Wir reden also zu allen Themen mit. Jeder Antrag nimmt uns gefangen, zu allen Themen muss man eine Meinung haben! Das Hamsterrad dreht sich…unsere Grundsätze drehen aber nicht mit…

Als wir in den Landtag kamen, da war die Sache einfach: Haben wir ein Thema in dem wir keinen blassen Schimmer haben, dann fragen wir “die Basis”(tm). Irgendwer wird schon wissen, was die Fakten sind, dann machen wir eine Abstimmung und dann wissen wir, was “die Bürger”(tm) denken. Ist natürlich Blödsinn, kann man aber erstmal so denken!

Klar, wir haben kaum jemals die Basis zu irgendwas abstimmen lassen, die Zusammenarbeit mit Arbeitskreisen klappt nur so la-la, aber alles wird bald besser, denn die Partei passt sich dem Landtag an. Bald haben wir einen AK Religionspolitik und können da über einen Antrag zum Tanzverbot am Karfreitag beraten. Schöne neue Piratenwelt!

Aber ist das wirklich der richtig Weg? Was ist aus der internationalen Bewegung geworden, die vor allem 3 Sachen gefordert hat: freies Internet, Reform des Urheberrechts aus sozio-historischen Gründen und die Transparenz des Staates statt des transparenten Bürgers? Wo sind die Ideale davon hin, dass Politik vor allem Informationsgeber sein und der mündige Bürger selbst entscheiden soll? Wann erlauben wir uns endlich mal zu sagen: “Sorry, aber zu diesem Thema haben wir nun wirklich noch keine Meinung!”?

Im Wahlkampf hat uns das nicht geschadet, jetzt werden wir langsam und sicher wie alle anderen Parteien, haben auf alles eine Antwort und stellen kaum noch (an die richtigen Leute) (die richtigen) Fragen. Wohin hat uns das gebracht? Von 7.9% auf 1.8%?

Wir können jetzt aufgeben und das Experiment als gescheitert erklären. Aber das machte keinen Sinn. Die Probleme, wegen derer wir alle in die Politik und einige in Landtage und ins Abgeordnetenhaus gingen, sind doch lange nicht verschwunden. Im Gegenteil: mit jedem Prozentpunkt weniger für uns sinkt die Angst der Etablierten und sie machen weiter wie bisher. Sie schreiben jetzt überall Transparenz mit drauf und denken damit sei das Problem gelöst.

Wir müssen uns zusammen raufen, wieder Biss zeigen, auf der Straße stehen und Flyer verteilen, den Menschen zeigen, dass wir noch da sind. Wir dürfen uns nicht mehr um Menschen streiten, sondern um die Sache. TTIP, Snowden, die GroKo, dass Urheberrecht und die Beteiligung der Bürger. Das alles liebt noch im Argen, auch wenn wir uns mit vier Mini-Fraktionen auf Landesebene den Arsch aufreissen.

Machen wir so weiter, ohne Präsenz, ohne ständigen Wahlkampf, ohne Biss, dann sind wir bald draußen aus den Parlamenten. Kein Druck mehr von Innen, keine Angst mehr vor den kleinen Piraten. Dann haben wir versagt und unser Ziel verpasst. Dann können wir sagen

“Wir waren so nah dran.”

Da hängt es wieder, dieses Plakat. “Aufgeben oder Kämpfen?” und starrt mich an. Schon einmal habe ich hier gesessen, mit Twitter in der Hand und unruhigen Gedanken. Von Fraktionsaustritt bis Partei verlassen. Wie damals starre ich zurück und schreie am Ende das Plakat an.

Nur nah dran gewesen zu sein ist keine Lösung.

Aufgeben ist keine Option!

UPDATE: Nach einigen Gesprächen mit Mitarbeitern möchte ich klar stellen: Mitnichten wollte ich darstellen, dass es bereits Mitarbeiter in der Fraktion gibt, die statt der MdL politische Entscheidungen treffen und die Abgeordneten “fernsteuern”. Ich wollte nur auf die schwerwiegenden Kosequenzen hinweisen, wenn es dazu kommen sollte. Nicht jeder kommt mit hehren Zielen in den Landtag, mancher hat eine eigene Agenda und wird diese auch umsetzen wollen, wenn er merkt, dass ihm dies aufgrund der Situation möglich ist.


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